Donnerstag, 19. Januar 2012
Wenn's bei Ludwina ängstelt


Wie leicht, ach, gerät man doch zwischen die eine Angst, dass etwas passieren könnte, und die andere Angst, dass es nicht passieren könnte.

Kurt Marti (*1921), Schweizer Pfarrer u. Schriftsteller


Es fängt im Zwerchfell an. Erst ist es nur ein kleines Ziehen und Zwicken. Noch lange nicht so stark, dass man es beachten müsste. Dann wird das Ziehen stärker. Der Magen horcht auf, erschrickt und zieht sich zusammen. Jetzt schafft es auch Ludwina nicht mehr dieses Gefühl zu ignorieren. Mit ihrer neu erlernten Achtsamkeit verfolgt Ludwina die Reaktionen ihres Körpers auf die ungewohnte Situation. Zwerchfell und Magen übertreffen sich gegenseitig an Spannung. Nun stellt sich auch noch ein Dehnen in ihrem Brustkorb ein, als wären die Rippen zu eng für ihr unregelmässig schlagendes Herz.

Ludwina ist verliebt. Sie hätte nie erwartet, dieses Gefühl zu erleben.
Mit dem "Ja" zum Leben, bejaht Ludwina neu auch ihre Gefühle. Vorbei sind die Zeiten in denen sie gute, lebensnotwendige Gefühle schluckt, aus Angst vor Enttäuschungen und Verletzungen. Vorbei sind die Zeiten in denen sie das Gegenüber rationalisiert, Fehler sucht und sich davon abschrecken lässt.

Aber die Angst, die isst immer noch mit.

Idealisiert sie? Ist sie in eine Vorstellung verliebt? Haben es ihr die Bilder angetan, die er von seinen Vorstellungen gemalt hat? Wird etwas geschehen? Wird nichts geschehen? Spielt er? Meint er es ernst mit ihr? Mag er sie, oder hat er sich in ihre Bilder einer Beziehung verliebt?

Ludwina atmet tief durch, nickt ihrer Angst zu, kehrt ihr den Rücken, wieder dieses Dauergrinsen im Gesicht und streichelt sanft den Schmetterlingsschwarm in ihrem Bauch.

Sie wird ihn wieder sehen. Schon heute.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 18. Januar 2012
Ludwina beschliesst zu leben


Leben heisst, die Dinge am eigenen Leib zu erfahren und nicht dazusitzen und über den Sinn (des Lebens) nachzudenken.

Paolo Coelho, Aleph



Heute lernen wir Ludwina kennen. Wir lernen sie an dem Tag kennen, an dem sie zu leben beschliesst.

Es ist ein sonniger Tag im Winter. Ludwina eben von ihrem täglichen Spaziergang zurück, steht an der Balkonbrüstung, wie jeden Tag nach ihrem disziplinierten Waldgang und bedauert, wie die Tage zuvor, dass der Balkon auch in dieser Nacht nicht in die Höhe gewachsen ist.
Doch heute ist etwas anders. Eine kleiner, bereits erloschen geglaubter und aufgegebener Funke meldet sich. Was zum Geier tu' ich hier?

Ludwina greift zum Telefon und lässt sich in eine Klinik einweisen, ihrer inneren Weigerung zum Trotz. Sie weiss, dass sie den Grund ihres Sumpfes erreicht hat und es nun an der Zeit ist, sich entweder dort unten abzustossen oder den Schlick einzuatmen und dem Ganzen ein Ende zu bereiten.
Sie stösst sich unten ab, lässt sich von der herbei gerufenen Mutter packen helfen (Ludwina ist zu diesem Zeitpunkt bereits unfähig etwas sinnvolles zu leisten), steigt darauf ins Auto und fährt in die Klinik - alleine. (Später wird sie sich an diese Autofahrt nicht mehr erinnern können. Da es keine Anklagen gegeben hat, können wir davon ausgehen, dass die Fahrt unfallfrei war).
Der kleine Funke, mittlerweile ein mittelkleiner Funke, lässt sie, trotz ihrer hunderten von Ängsten, sogar etwas hoffen.

Das war der Tag, an dem Ludwina zu leben beschloss. Sie verbrachte 17 Wochen in der Klinik, 12 davon ohne nur einmal nach Hause zu gehen. Sie lernte dort wieder zu lachen bis der Bauch schmerzt, sie begegnete dort wertvollen Menschen, die sie in der Zeit des Aufenthaltes begleiteten und stützten. Das Wichtigste aber, das sie mit auf den Weg genommen hat, ist die Erkenntnis, dass sie aus Angst vor dem Leben nie wirklich lebte.

Wir werden hier Ludwina auf ihrem weiteren Weg begleiten. Ihre Vergangenheit werden wir nur soweit kennen lernen, wie es für das Verständnis der heutigen Ereignisse notwendig ist, denn Ludwina lebt Heute.

... link (0 Kommentare)   ... comment